Unterstützte Kommunikation (UK)


Soziale Interaktionen und kommunikative Kompetenz

Mit anderen Menschen kommunizieren zu wollen und zu können ist ein großes Bedürfnis von uns allen. Das Kommunizieren bestimmt im Wesentlichen darüber mit, wie wir uns fühlen, welche Erfahrungen und Erlebnisse wir machen, wie wir unsere Persönlichkeit entwickeln und darstellen, an welchen Aktivitäten wir teilnehmen und dass bzw. wie wir uns in soziale Systeme integrieren. Wir schließen Freundschaften, tauschen Informationen aus, vermitteln Wissen, streiten und lernen, wir üben unseren Beruf aus, indem wir kommunizieren.

Kommunikatives Handeln, das Handeln in sozialen Interaktionen allgemein und Partizipation ist die Voraussetzung für eine optimale Entwicklung in allen menschlichen und sozialen Bezügen. In der Interaktion mit anderen Menschen lernen wir, wie wir Sprachsysteme, Zeichen und Signale verwenden, damit unser Handeln in der Situation erfolgreich wird, sprich wir unsere Intention, die kommunikative Absicht, der anderen Person deutlich machen können. Aber auch bei Missverständnissen, diese zu klären, indem auf der Ebene der Metakommunikation über das Kommunizierte gesprochen und verhandelt wird. Diese Fähigkeiten werden kommunikative Kompetenzen genannt, die Fähigkeit die Kompetenzen in das soziale Handeln umzusetzen, heißt Performanz.

Das Medium der Kommunikation sind Zeichensysteme, wie z.B. die gesprochene und geschriebene Sprache oder Gebärdensprache der Gehörlosen. Sprachen werden deshalb als Zeichensysteme bezeichnet, weil sie über ein Regelsystem (wie z.B. die Orthografie und Grammatik) von Zeichen verfügen, die wiederum kulturell entstandene Ergebnisse eines langen, über Generationen dauernden Aushandlungsprozess sind. Das bedeutet, dass der kulturelle Hintergrund einer Gemeinschaft oder Gesellschaft bestimmt, welche Regeln und Strategien in der Sprache und der Kommunikation gültig bzw. sozial konform sind. Unser kultureller Hintergrund ist gekennzeichnet durch die sehr hohe Wertschätzung der Laut- und Schriftsprache in der zwischenmenschlichen Kommunikation. Beispiels-weise erhalten Menschen, die nicht schreiben und lesen können bzw. unsere Sprache nicht sprechen, nur sehr schwer Zugang zu unseren sozialen Systemen, wie Schule, Bildung, Arbeit und Kultur, dadurch werden sie ausgegrenzt und diskriminiert und sind sozial nicht anerkannt.

Die kommunikative Situation und dessen Inhalt bzw. Intention erfassen wir aber nicht nur, weil wir laut- bzw. schriftsprachliche Äußerungen verstehen. Denn gleichzeitig vermitteln wir sehr viel Informationsgehalt über die nonverbalen und paralinguistischen Kommunikationsmodi, weil wir multimodal kommunizieren. Das Gemeinte erfassen wir vor allem über die Kanäle der Intonation (Betonung), Prosodie (Melodie und Rhythmus des Sprechens), Mimik, Gestik, etc. So genannte inkohärente und inkongruente Mitteilungen dagegen, d.h. wenn die sprachlichen Äußerungen nicht mit den nonverbalen Signalen übereinstimmen, irritieren uns und geben uns Anlass, in die Metaebene der Kommunikation zu treten.


Interaktionsförderliche soziale Umwelt - die frühkindliche Entwicklung der Kommunikation

Normalerweise lernen wir schon vom Beginn des ersten Schreis die sozialen Regeln, Muster und Funktionen der Kommunikation kennen. Bereits in der vorsymbolischen (präverbalen, vorsprachlichen) Interaktion mit unseren primären Bezugspersonen stehen wir schon mitten in der Anwendung grundlegender Strukturen der Kommunikation, womit die Prinzipien der Reziprozität (Abwechseln in der Kommunikation), der Intentionalität (kommunikative Absicht) und der Kooperation (gemeinsame Handlungskoordination über Verstehen und Verständigung, das Konzept des Helfens) gemeint sind, die wir alle mit Abschluss des ersten Lebensjahres kennen und können, und damit die Basis für die weitere Kommunikations- und Sprachentwicklung schaffen. Die "intuitive elterliche Didaktik" (Papousek 1994), das prompte und meist adäquate Interpretieren sämtlicher Laut- und Körpersignale von Seiten der Eltern vermittelt die notwendigen Grundlagen für die Interaktionsentwicklung. In den sozialen Interaktionen lernen wir das Lautrepertoire, die Grundmechanismen der Lautbildung sowie die Grundlagen für die Entwicklung zur Dialogfähigkeit, wie beispielsweise Takt und ,Timing' in sozialen Interaktionen und den Sprecherwechsel, das so genannte ,Turn-Taking'.

Die Reziprozität und Intentionalität des kindlichen Handelns entwickeln sich im Laufe des ersten Lebensjahres, weil die Eltern die frühen sozialen Interaktionen initiieren und sie ihr Handeln mit dem Verhaltenszustand des Kindes synchronisieren. Diese frühen Interaktionen werden durch Blickausrichtung, Mimik und Lautäußerung wechselseitig reguliert. Das Gelingen der sozialen Interaktionen hängt von der Lesbarkeit der Signale des Kindes und seiner Reaktionsbereitschaft ebenso ab wie von der Sensibilität und konsistenten Reaktionsbereitschaft der Eltern. Diese Bereitschaft der Eltern, die frühe, vorsprachliche kommunikative Entwicklung des Kindes zu stimulieren und kontingent - das heißt prompt, regelmäßig und fortzugleich - auf seine Initiativen einzugehen, fördert seine sprachliche und kognitive Entwicklung. Die Merkmale des kindlichen Interaktionshandelns sind von seinem Entwicklungsstand, Temperament und seiner körper-lichen Gesundheit abhängig. Das elterliche Handeln ist wiederum von ihrer eigenen Lebensgeschichte und sozialen Situation sowie ihrer psychischen Gesundheit mitbestimmt.

Zunächst spielen also die (erwachsenen) Bezugspersonen in der Entwicklung sozialer und kommunikativer Kompetenz eine bedeutende Rolle: Die Eltern tun so, als ob ihr kleines Kind eine gleichwertige Gesprächspartnerin sei und bereits eine kommunikative Absicht mit seinem Handeln verfolgt. Gemäß Sarimski (1986) gibt es keinen geschlechtsspezifischen Unterschied zwischen dem mütterlichen und väterlichen sozialen Handeln. Die Eltern führen - wie es der Autor nennt - so genannte "Pseudo-Dialoge", in denen die Kinder deshalb schon früh die Strukturmerkmale wie Reziprozität, Intentionalität, Kooperation und Relevanz der Kommunikation lernen. Erst im weiteren Verlauf der Entwicklung (spätestens mit Eintritt in den Kindergarten) übernehmen dann die Peers in der Interaktions- und Kommunikationsentwicklung zunehmend wichtigere Funktionen in der Entwicklung kommunikativer Kompetenzen in den verschiedenen Lebensphasen und -bereichen.

Doch genau während dieser frühen Lebensphase können sich schon die ersten Störungen im Entwicklungsverlauf der kommunikativen Kompetenz bei kleinen Kindern mit Entwicklungsbeeinträchtigungen einschleichen: Die intuitive elterliche Didaktik hinsichtlich der Interaktionsgestaltung von Seiten der Eltern wird gestört, die Eltern sind irritiert, weil ihr intuitives Verhalten als inadäquat erscheint. Darauf-hin verändert sich ihr kommunikatives Handeln je nach Beeinträchtigungsart des Kindes anders.

Des Weiteren ist zu beachten, dass mit dem Blick der system-ökologischen Theorie nach Bronfenbrenner (1989) - der Ökologie der menschlichen Entwicklung - besonders deutlich wird, welche wesentliche Rolle die Kommunikation, respektive die kommu-nikative Kompetenz für die menschliche Entwicklung spielt: Die kommunikative Kompetenz ist darin als permanente aktive Auseinandersetzung mit der sozialen und dinglichen Umwelt beschrieben, die in sozialen Interaktionen stattfindet. Die aktive Auseinandersetzung mit der Umwelt bildet unterschiedliche und vielseitige Muster von komplexer werdenden Tätigkeiten, sozialer Rollen und zwischenmenschlicher Beziehungen zur sozialen Umwelt. Deshalb verwendet Bronfenbrenner den Begriff ,Ökologie' in der menschlichen Entwicklung. Zentral ist die Bedeutung der Umwelt in diesen Wechselwirkungsprozessen zwischen Person und Umwelt. Darum werden von allen beteiligten Personen bestimmte soziale und kommunikative Umgangsformen abverlangt, damit eine Person an ihrer sozialen Umwelt partizipieren, sich aktiv in eine Gemeinschaft einbringen, an sozialen Systemen teilhaben und in die Gesellschaft integrieren kann. Die anderen Personen in der sozialen Umwelt stellen die äußeren Bedingungen bereit, sozusagen das entwicklungsförderliche Potential eines Lebensbereichs. Dieses Potential steigert sich in dem Maße, wie es die soziale und dingliche Umwelt dieser Lebensbereiche der betreffenden Person ermöglichen und sie dazu motivieren, an fortschreitend komplexeren Tätigkeiten, wechselseitigen Interaktionsmustern und Beziehungen mit anderen Menschen teilzuhaben. Gleichzeitig besitzen die Anderen die Kompetenzen, den sich entwickelnden Menschen - seinen Fähigkeiten und Interessen entsprechend - während der Übergänge in immer komplexere Formen der Tätigkeiten, Interaktionen, Beziehungen und Rollen zu begleiten. All diese Prozesse laufen über Interaktion und Kommunikation.

Aus diesen Annahmen lassen sich vier entwicklungsbezogene und -logische Funktionen der sozialen Interaktionen ableiten, die für die Ausbildung kommunikativer Kompetenzen entscheidend sind:

Wünsche und Bedürfnisse ausdrücken, die eigene Persönlichkeit darstellen;

Beziehungssysteme und soziale Netzwerke aufbauen, soziale Nähe und Distanz entwickeln und damit die Identität bilden;

Informationen austauschen sowie Wissen, kulturelle Bedeutungen und Erfahrungen vermitteln;

Sozialisierung in gesellschaftlich anerkannten sozialen Instanzen mit sozial anerkannten Handlungsweisen und sozialen Rollen sowie das Erlernen der sozialen Umgangsformen.

Mit der Perspektive der Lebenslauforientierung verändern sich die individuellen Ansprüche, Erwartungen und Funktionen kommunikativer Fähigkeiten und Kompetenzen an einen Menschen in den verschiedenen Lebensphasen. Mit fortschreitendem Alter bildet sich die kommunikative Kompetenz sowohl qualitativ als auch quantitativ im Sozialisationsprozess heraus. Die Inhalte und Intentionen, die eine Person in der zwischenmenschlichen Kommunikation verfolgt, wachsen im Verlauf des Lebensalters, da sich gleichsam die Lebenswelten und ihre Partizipationsmöglichkeiten erweitern. Damit steigen wiederum die Erwartungen und Ansprüche an die kommunikativen Kompetenzen von Seiten der anderen Mitglieder der verschiedenen Lebenswelten.

"...die Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen meiner Welt..."
(nach Wittgenstein)


Soziale Interaktionen und Kommunikation unter erschwerten Bedingungen

Viele Kinder, Jugendliche und Erwachsene können aufgrund einer Entwicklungsbeeinträchtigung oder Behinderung nicht oder kaum sprechen oder sie haben Mühe, gesprochene Sprache zu verstehen. Deshalb ist es für sie schwierig, aktiv an sozialen Interaktionen zu partizipieren und ihre Persönlichkeit mittels kommunikativer Kompetenzen darzustellen. Zudem verstehen viele nicht, was von ihnen in einer sozialen Interaktion erwartet wird. Diese schweren Kommunikationsbeeinträchtigungen haben unterschiedliche Ursachen:

angeborene Schädigungen, wie z.B. Infantile Cerebalparese mit Anarthrie und Dysarthrie, Chromosomenanomalien, Missbildungen, Stoffwechselstörungen;

erworbene Schädigungen durch Krankheit oder Unfall, z.B. SHT, Aphasien, Hirnverletzungen, Missbildungen im Gesicht, Lähmungen, cerebrale Bewegungsstörungen, etc.;

fortschreitende Erkrankungen, z.B. Muskeldystrophie, Amyothrophe Lateralsklerose, MS;

autistische Störungen;

schwere Sprachentwicklungs- und Sprachverständnisstörungen;

allgemeine kognitive Entwicklungsbeeinträchtigungen;

psychische Störungen, z.B. (selektiver) Mutismus.

Wenn nun Menschen mit schweren Entwicklungsbeeinträchtigungen Schwierigkeiten haben, kommunikative Kompetenzen zu entwickeln, dann ist auch ihre Gesamtentwicklung gefährdet, da ihre Möglichkeiten, verlässliche Vorstellungen von der Welt und ihrem Verhältnis zur Welt zu bilden, massiv eingeschränkt sind. Menschen mit schweren Kommunikationsbeeinträchtigungen erleben oftmals, dass ihre feinen, leisen und andersartigen Zeichen und Signale nicht oder nur von sehr wenigen Gesprächspartnern verstanden werden. Sie verfügen dadurch über erheblich weniger Möglichkeiten, ihre Umwelt aktiv und selbst bestimmt zu beeinflussen und zu gestalten. Dieser entwicklungshemmende Wechselwirkungsprozess heißt für sie schließlich Ausgrenzung, soziale Isolation und Fremdbestimmung. Diese Behinderung in allen sozialen Belangen kann schwere psychosoziale Auffälligkeiten und/oder intellektuelle Deprivationen nach sich ziehen.

Diese Menschen haben aber nicht nur Schwierigkeiten sich verbal zu äußern, sondern auch gesprochene Sprache zu verstehen; sie haben vielleicht noch elementarere Schwierigkeiten, wenn sie die Strukturelemente der Kommunikation, wie die Prinzipien der Reziprozität, Intentionalität, Relevanz und Kooperation, noch nicht (kennen) gelernt haben. Sie wollen sich in ihrer eigenen, individuellen Art und Weise mitteilen, doch werden ihre Absichten nur selten verstanden. Nicht gelingende soziale Interaktionen können dann einerseits zu den - bekannten - schwierigen bzw. aggressiven und selbst verletzenden Verhaltensweisen führen. Andererseits werden Passivität, Lethargie oder Apathie und schließlich ,erlernte kommunikative Hilflosigkeit' zu den prägenden Faktoren in der Persönlichkeitsentwicklung.

Hinzu kommt, dass Menschen mit schweren Kommunikationsbeeinträchtigungen nicht ernst genommen werden, dass ihnen nichts zugetraut wird, und dass von ihnen keine wertvollen Beiträge für die soziale Gemeinschaft und Gesellschaft erwartet werden, wie es Maiwald (1994) treffend festhält: "Ich dachte, die denken, ich kann nicht denken."

Auch Brown (1990) hat aufgeschrieben, was er fühlte, als er nach Jahren der Stille eine Kommunikationshilfe erhielt, um damit zu sprechen und zu schreiben. Ihm eröffneten sich neue Welten: "Ich zeichnete ihn - den Buchstaben ,A'. Da war er auf dem Fußboden vor mir (...) ich schaute auf. Ich hatte es geschafft! Dieser eine Buchstabe, das Ding, das meinen Gedanken die Möglichkeit gab, sich auszudrücken (...) hin gekritzelt mit einem abgebrochenen Stück gelber Kreide, das festgehalten wurde von meinem Fuß. - Das war meine Straße zu einer neuen Welt, mein Schlüssel zur geistigen Freiheit."

Diese autobiographischen Berichte verdeutlichen, wie wichtig es ist, neue und andere pädagogische und konzeptionelle Wege zu gehen, so dass in gelingenden sozialen Interaktionen Entwicklungsprozesse geschehen können.

Unterstützte Kommunikation (UK) befasst sich mit dem Phänomen wie Kommunizieren, Verstehen und Verständigung, wenn alternative Kommunikationsmodi ersetzend oder ergänzend zur Laut- und Schriftsprache verwendet werden. Außerdem ist es Gegenstand der UK, wie systematische Planung, Durchführung und Reflexion der UK-Interventionen die Bedingungen verändern können, damit soziale Interaktionen gelingen und sie entwicklungsförderlich sind.


Unterstützte Kommunikation und ihre Geschichte

UK, international als "Augmentative and Alternative Communication (AAC)" bezeichnet, ist ein multidisziplinäres Feld. Interventionen im Bereich der UK zielen darauf, die kommunikativen Bedingungen der Personen, die in ihrer Entwicklung der Interaktions- und Kommunikationsfähigkeiten stark beeinträchtigt sind oder deren Entwicklungsprozesse dadurch behindert werden zu verbessern bzw. zu normalisieren. Eine Definition für UK wurde von der ASHA verabschiedet und fordert, dass ,Unterstützte Kommunikation versucht, die Beeinträchtigun-gen vorübergehend oder dauernd zu kompensieren, denen Menschen mit schweren Kommunikationsbeeinträchtigungen ausgesetzt sind, und dadurch behindernde Partizipationsbarrieren abzubauen'.

Das Fachgebiet entwickelte sich Ende der 70er Jahre in Nordamerika aus verschiedenen Strömungen und unter dem Einfluss der Gesetzgebung für die gesellschaftliche Integration von Menschen mit Behinderungen. Der Ausgangspunkt für diese Entwicklung waren die Arbeit mit Kommunikationstafeln und Symbolsprachen (insbesondere das BLISS-Kommunikationssystem), das Etablieren der Gebärdensprache und der ,Total Communication' mit Gehörlosen sowie die Entwicklung von technischen Schreibhilfen, dem Personal Computer und Umweltkontrollgeräten für Menschen mit Körperbehinderungen.

Die Belange hinsichtlich UK sind durch ISAAC (international Society for Augmentative and Alternative Communication) vertreten, im deutschsprachigen Raum ist es ISAAC-GSC - Gesellschaft für Unterstützte Kommunikation, die Sektion deutschsprachiger Länder (GSC) der ISAAC International.


Das Ziel der Unterstützten Kommunikation

In der UK geht es einerseits darum, individuell angepasste Kommunikationssysteme zu erarbeiten, deren Komponenten aus Symbolen und Zeichen, Kommunikationshilfen, (Auswahl-)Techniken und Strategien bestehen. Andererseits müssen UK-Interventionen auf die soziale und dingliche Umwelt zielen, indem Partizipationsbarrieren abgebaut und neue, zusätzliche Interaktionsgelegenheiten geschaffen werden. UK-Interventionen können nie zu früh oder zu spät beginnen. Sinnvoll ist jedoch der möglichst frühe Einsatz von UK, damit die Entwicklung möglichst ungehemmt verlaufen kann. Neue Untersuchungen zeigen auch, dass UK nicht nur für die Kommunikations- und Sprachentwicklung förderlich ist, sondern auch zusätzliche behindernde Entwicklungsprozesse verhindern kann. Interventionen im Bereich der UK richten sich allerdings nicht nur an die betroffenen Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen selbst, sondern auch an ihre familiären und professionellen Bezugspersonen, welche mit ihnen zusammen leben und/oder arbeiten; sowie drittens auch an die sozialen Dienstleistungsorganisationen für diese Personenkreise und schließlich auch an die Gesellschaft selbst, damit Inklusionsprozesse erleichtert werden.

Die dritte Dimension der UK betrifft die gesellschaftliche Ebene: Wenn alternative Kommunikationsformen in den menschlichen Lebensbereichen eine ähnliche Bedeutung erlangen sollen wie die gesprochene und geschriebene Sprache, die identitätsbildend und kulturstiftend ist sowie die Kognitionsentwicklung maßgeblich bereichert, dann muss quasi eine eigentliche UK-Kultur in den Lebensbereichen der betroffenen Personen aufgebaut werden. Denn nach wie vor leben sehr viele Menschen mit schweren Entwicklungsbeeinträchtigungen in speziellen sozialen Dienstleistungsorganisationen der Behindertenhilfe - vor allem im Erwachsenen-alter. Das bedeutet, dass diese Organisationen gefordert sind, sich mit dem Fachgebiet UK auseinander zu setzen, UK umfassend zu implementieren, eine UK-Kultur aufzubauen und die entsprechenden strukturellen Rahmenbedingungen (personelle und finanzielle Ressourcen, fachspezifische Weiterbildungen) dafür zu schaffen.


Unterstützte Kommunikation und ihre Funktionen

UK ist primär für Personen, die nicht sprechen bzw. unverständlich sprechen können und/oder gesprochene Sprache nicht derart verstehen, wie wir es gewohnt sind. Je nach der Funktion, die UK für eine betreffende Person hat, werden drei Zielgruppen unterschieden:


Zielgruppe 1: UK wird als ein Ausdrucksmittel benutzt:

UK überbrückt hier die große Kluft zwischen dem (guten) Sprachverständnis und (vorübergehender oder dauerhafter beeinträchtigter) Produktion bzw. Artikulation der Lautsprache. Ziel der UK-Interventionen ist, eine effiziente und funktionale alternative Ausdrucksmöglichkeit zur Lautsprache zu finden, wie z.B. mit Hilfe der elektronischen Sprechgeräte. - Menschen mit cerebralen Bewegungsstörungen und Anarthrie oder Dysarthrie, die in der Regel keine oder kaum zusätzliche kognitive Beeinträchtigungen haben, sind die ,typischen' unterstützt kommunizierenden Personen.


Zielgruppe 2: UK unterstützt bzw. erleichtert die Sprachentwicklung und den Spracherwerb:

UK stellt hier eine zusätzliche, zur Lautsprache verwendete Kommunikationsform dar, um die allgemeine Sprachentwicklung (Sprachproduktion und Sprachverstehen) zu erleichtern bzw. zu fördern. Oder UK wird ,ergänzend' zum Sprechen eingesetzt, weil es wegen schwerer Artikulationsstörungen nur schwer verständlich ist. Hier zielen die UK-Interventionen darauf, einerseits soziale Probleme zu überwinden, die aufgrund der eingeschränkten Ausdrucksmöglichkeiten entstehen. Andererseits zu lernen, in welchen Situationen UK wirksam und effizient, also ergänzend zur Lautsprache eingesetzt werden muss, damit die Kommunikation besser gelingt. - Zu dieser Zielgruppe gehören Kinder mit Funktionsbeeinträchtigungen des Sprechen und der Sprache, fremdsprachige Menschen oder Personen mit erworbenen Sprach- und Sprechstörungen, wie z.B. Aphasien und Wortfindungsschwierigkeiten.


Zielgruppe 3: UK bietet eine eigentliche (,Ersatz'-)Sprache:

Hier wird UK eingesetzt, um vorsymbolische Interaktionsfähigkeiten zu lernen und so in den Entwicklungsprozess der kommunikativen Kompetenz zu gelangen, um beispielsweise den ersten Schritt, nämlich den Übergang zur symbolischen Kommunikation beginnen zu können. UK fungiert quasi als ein alternatives Verständigungssystem (so wie sich Gehörlose mit der Gebärdensprache verständigen), um überhaupt soziale (und vielleicht auch sprachlich vermittelte) Interaktionen gestalten und verstehen zu können. Die Hauptziele der UK-Interventionen richten sich darauf, Umfeld- und Lebensbedingungen zu schaffen, damit Kinder und Erwachsene das alternative Sprachsystem verstehen und benutzen lernen, ohne dazu jemals eine Lautsprache benötigen zu müssen. - Zu dieser Zielgruppe gehören Menschen mit schweren Entwicklungsbeeinträchtigungen, Menschen mit schweren, mehrfachen oder kognitiven Funktionsbeeinträchtigungen und Wahrnehmungsstörungen.

"auch ein stummer will sich artikulieren auch er hat ein recht auf sprache
ohne sprache sind wir tote isolierte ausgestoßene apparaturen
eine wichtige arbeit stummen die sprache zu bringen" (Birger Sellin 1993, 134)


Unterstützte Kommunikation und multimodale Kommunikationssysteme

Ein grundlegendes Prinzip in der UK ist die Multimodalität in der Kommunikation. UK lehnt sich dabei an den Ansatz der "total communication" in der Gehörlosenpädagogik. Das heißt, verschiedene Kommunikationsmodi werden gleichzeitig und gleichwertig eingesetzt bzw. einzelne Modalitäten besonders unterstützt oder gefördert. Es sollen sämtliche Kommunikationsmöglichkeiten ausgeschöpft werden, um der betreffenden Person die kommunikativen Bedingungen zu vereinfachen. Dies betrifft sowohl alle natürlichen (körpereigenen) Kommunikationsmöglichkeiten eines Menschen, wie Lautsprache, Schrift, Vokalisationen, Gesten, Mimik, Blickbewegungen, Körpersprache, als auch die UK-spezifischen Möglichkeiten, wie der Einsatz von technischen Kommunikationshilfen und spezifischen körpereigenen Formen (Gebärden). Dadurch werden die UK-Interventionen auch für Menschen mit schweren kognitiven Beeinträchtigungen, die ausschließlich mit körpereigenen Ausdrucksformen kommunizieren, sinnvoll und von Nutzen.

Die Multimodalität bezieht sich außerdem auf die Sinneskanäle, in denen Kommunikation wahrgenommen bzw. produziert werden kann, nämlich visuell, auditiv und taktil. Durch das Einsetzen der verschiedenen Modi kann die Mitteilung oft für alle Beteiligten verständlicher werden: Denn die gleichzeitige Verwendung verschiedener Modalitäten durch die Kommunikationspartnerin kann für diese Personengruppe auch das Sprach- und Symbolverständnis von gesprochener Sprache - also nicht nur das aktive Symbolhandeln - erleichtern. Daraus ergibt sich die zentrale Aufgabe in UK, individuelle multimodale Kommunikationssysteme zu erarbeiten und diese in entwicklungsförderlichen sozialen Interaktionen zu kennen und beherrschen zu lernen - und zwar von allen beteiligten Interaktionspartnern.


Ein multimodales Kommunikationssystem setzt sich aus folgenden Komponenten zusammen:

Zeichen

Zeichen bezeichnen etwas; Symbole sind die Repräsentanten dafür. Das Repräsentierte kann entweder statisch (mit gegenständlichen, ikonischen, graphischen Zeichen) oder dynamisch (wie Gesten, Handzeichen, Gebärden, Augenbewegungen, Fingeralphabet, gesprochene Sprache, synthetische Sprache, Morsen etc.) dargestellt werden. Dynamische Zeichen werden vom "Sprecher" meist selbst und ohne Hilfsmittel produziert. Sie existieren nur vorübergehend und um sie zu produzieren, sind meist feinmotorische Fähigkeiten erforderlich (Sprechen, Gebärden). Statische Zeichen, wie Fotos, Gegenstände, Bilder, Schrift und grafische Zeichen (BLISS, Piktogramme etc.), sind stets vorhanden. Sie müssen wieder erkannt und ausgewählt werden, jedoch nicht vom Anwender selber produziert werden und erfordern in der Regel Hilfsmittel, wie z.B. Kommunikationstafeln oder elektronische Kommunikationshilfen, in denen die Zeichen abgelegt und gespeichert sind. Die UK-spezifischen Zeichenmaterialien werden unterschieden in Symbolsysteme (mit linguistischen Regeln) und Zeichensammlungen.


Kommunikationshilfen

Die Kommunikationshilfen helfen das Vokabular bzw. die Zeichen zu ordnen, zu speichern bzw. für die Aktivierung bereit zu halten. Es wird unterschieden in elektronische und nicht-elektronische Kommunikationshilfen.
Die elektronischen Kommunikationshilfen unterteilen sich in solche mit und ohne Sprachausgabe. Beispiele für ein elektronisches Gerät ohne Sprachausgabe sind elektrische Schreibmaschinen und verschiedene Computeranwendungen mit speziellen Schreibprogrammen.
Elektronische Kommunikationshilfen mit Sprachausgabe haben den großen Vorteil, dass Kommunikation über Distanz möglich wird und dass die Kommunikation in Gruppen oder mit fremden Personen erleichtert ist, weil die Benutzerin über eine ,lautstarke Stimme' verfügt. Die so genannten Sprechcomputer verfügen über digitale Sprachausgaben, über eine synthetischer Sprachausgabe (text-to-speech-system), und die neuen komplexen Geräte über beides. Der technologische Fortschritt und die Weiterentwicklung der elektronischen Kommunikationshilfen stellen sowohl die Nutzerinnen als auch ihre Trainerinnen vor neue Herausforderungen:
Organisation des Wortschatzes und ihren Strategien (wie z.B. bei Deutsche WortschatzstrategieT, GatewayT, Speaking Dynamicly, etc.), Strukturen der dynamischen Displays und Anpassung der Auswahltechniken wie z.B. bei den neuesten Augensteuerung-Geräten.
Nicht-elektronische Kommunikationshilfen sind z.B. Ordner, Bücher, Tafeln, Wochen-, Tages- und Stundenpläne, Kommunikationsschürzen, Fotoalben, bildlich/grafisch dargestellte Handlungsabläufe, etc. Sie haben den Vorteil, dass sie weniger anfällig für technische Pannen, einfach herzustellen und relativ kostengünstig sind. Ein weiterer Vorteil - wie es unterstützt kommunizierenden Personen selbst sagen - liegt darin, dass die sprechende Kommunikationspartnerin aktiver in den Gesprächsverlauf mit einbezogen wird, weil diese während des Verständigungsprozesses das "Formulieren" einer Mitteilung mit entwickeln muss.


Auswahl-Techniken

Techniken benötigt man für die Bedienung der Kommunikationshilfen, um die Mitteilungsbausteine möglichst schnell auswählen und aktivieren zu können.
Auswahltechniken erlauben es uns, in einem bestimmten Kommunikationsmodus eine Mitteilung zu produzieren. Für die Lautsprache ist es die Technik der Artikulation, der Stimmgebung und des Atmens, für die Schriftsprache ist es die Technik des Schreibens, für die Gebärdensprache ist es die Technik des Gebärdens. In der UK sind insbesondere die Auswahltechniken von Bedeutung: die so genannten direkten, wie Zeigen, Anschauen (elektronisch auch beim Eye-Tracking), Tippen, etc., und die indirekten Selektionsarten, wie Codierungen und Scanning-Verfahren. Eine spezielle Form des Scanning-Verfahrens ist die Technik der Ja-Nein-Fragen, durch die die Gesprächspartnerin mit dem Abfragen versucht, eine bestimmte Mitteilung herauszufinden.
Auswahltechniken sind zudem für die Organisation und Darstellung des Vokabulars notwendig: Denn je schwerer vor allem die motorischen Beeinträchtigungen sind, desto speziellere Auswahltechniken werden notwendig, um Elemente des Vokabulars möglichst schnell aktivieren zu können.
Auch die Gestützte Kommunikation (FC, Facilitated Communication) ist eine ganz spezifische Technik, Mitteilungsbausteine auszuwählen. Mit FC können mögliche Blockaden bei willensgesteuerten Handlungen abgebaut werden. Hierbei ist eine ausgebildete und geübte Stützperson absolut notwendig, die die Stütze allmählich ausblendet.


Kommunikationsstrategien

Kommunikationsstrategien sind wichtig für die Gesprächsführung. Sie leiten Gespräche ein, halten sie aufrecht und beenden sie. Wir können mit Hilfe dieser Gesprächsthemen wechseln oder auf ihrer Weiterführung bestehen. Sie erlauben, ein Gespräch zu steuern. Je nach kommunikativer Situation sind andere Strategien notwendig. Techniken und Methoden der Gesprächsführung ermöglichen es zudem, Missverständnisse zu klären und abgebrochene Kommunikationen wieder aufzunehmen. Zudem benötigen wir Strategien, um überhaupt erst in soziale Interaktionen treten zu können. Leider werden diese Konversationsstrategien immer noch viel zu wenig im Bereich der UK-Interventionen berücksichtigt.
Grundsätzlich wird ein individuelles multimodales Kommunikationssystem nach einer bedürfnis- und fähigkeitsorientierten Abklärung erarbeitet. Die Leitfrage für eine solche Abklärung lautet: Wie kann die Person was, mit welchen Gesprächs-partnern, in welchen Situationen bereits kommunizieren, so dass sie verstanden wird und dass sie verstehen kann. Eine sorgfältige Wortschatzauswahl bezogen auf die Begriffe und Zeichenart sind entscheidend und ständig zu überprüfen sowie anzupassen - ein kontinuierlicher Prozess also. Die multimodale Kommunikation ,hilft' aber auch den Interaktionspartnern: Sie machen sich durch den eigenen Einsatz dieser UK-Modi (obwohl sie ,sprechen können') nicht nur verständlicher, indem sie auch multimodal kommunizieren, sondern sie strukturieren die kommunikativen Situationen auch so, dass eher Partizipations- und Verständigungsmöglichkeiten geschaffen und damit die Kommunikationsentwicklung Gestalt annehmen kann. Erst auf dieser Basis folgen weitere UK-Interventionen im Bereich der sozialen und dinglichen Umwelt, um das vorhandene Entwicklungspotential auszuschöpfen und den Zugang und die Gelegenheiten zu sozialen Interaktionen zu vergrößern, womit die Möglichkeiten der aktiven Teilhabe an Gesellschaft und Gemeinschaft erhöht und Lebensqualität gesteigert werden.


Unterstützte Kommunikation und ihr großes Ziel der gelingenden Partizipation

Zwei untrennbare Aussagen liegen der UK-Maxime Partizipation zugrunde: Die Partizipation an sozialen Ereignissen wird durch Kommunikation erleichtert bzw. erst ermöglicht. Erfolgreiche Kommunikation ist wiederum auf Teilhabe (Partizipation) an sozialen Ereignissen angewiesen. Partizipation und Empowerment sind also auf kommunikative Kompetenz angewiesen.

Viele gesellschaftliche und soziale Systeme funktionieren nur über Kommunikation, wie z.B. Freundschaften, Schule, Freizeit, Arbeit, Politik etc. Das heißt, wer mehr kommunikative Fähigkeiten hat, hat mehr Möglichkeiten zur aktiven Teilhabe und Mitbestimmung an diesen Systemen. Für Menschen mit schweren Kommunikationsbeeinträchtigungen ist es wesentlich schwieriger, sich in solchen Situationen einzubringen, sich aktiv zu beteiligen ist nahezu unmöglich. - Wer sich mitteilen kann, hat Möglichkeiten der Einflussnahme, kann mitreden. Wer nicht mitreden kann, kann das eben nicht. - UK will, dass sich jede Person verständlich(er) mitteilen kann, um Andere in einer bestimmten, namentlich kommunikativen, Weise beeinflussen zu können - eben mitzubestimmen.

Um gelingende soziale Interaktionen zu schaffen, die förderlich für Entwicklungsprozesse sind, wird UK in zwei großen Interventionsbereichen wirksam: Einerseits können UK-Interventionen auf individuelle Handlungskompetenzen und andererseits auf die Bedingungen in der sozialen oder dinglichen Umwelt wirken. Auf der Ebene der individuellen Handlungskompetenzen zielen Interventionen bspw. auf die Veränderung der vorhandenen Partizipations- und Interaktionsmuster, auf Verstehens- und Verständigungsprozesse, auf Entwicklungsprozesse im

Bereich der kommunikativen Fähigkeiten oder auf die Verringerung schwieriger sozialer Verhaltensweisen. UK-Interventionen im Umfeld haben zum Ziel, kommunikationsförderlichere Bedingungen zu schaffen, sei es den Zugang zu sozialen Interaktionen zu erleichtern, sei es den Interaktionspartnern Gesprächsführungsstrategien zu lehren oder sei es die situativen Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass überhaupt erst gemeinsame Handlungen, sprich: Kooperation, möglich wird und vermehrte Kommunikationsgelegenheiten geschaffen werden.

Weil für Personen mit schweren Entwicklungsbeeinträchtigungen strukturell verschiedene Lebensbereiche äußerst rar sind und sie nur selten an vielfältigen kooperativen Tätigkeiten beteiligt sind, steht für sie nur eine begrenzte Auswahl an Handlungsmöglichkeiten zur Verfügung, insbesondere wenn sie in vorgegebenen Strukturen einer Dienstleistungsorganisation der Behindertenhilfe leben.

Das soziale Umfeld stellt Interaktions- und Handlungsräume bereit und bestimmt damit die Partizipationsmöglichkeiten. Was sich die Anderen der sozialen Umwelt aber nicht vorstellen können, wird für Menschen mit Entwicklungsbeeinträchtigungen erst recht nicht zugänglich. Partizipationsbarrieren entstehen damit oftmals auf den Einstellungen und dem Vorstellungsvermögen der (professionellen) Interaktionspartner - es sind mehrheitlich die Barrieren in unseren Köpfen, die es abzubauen gilt.

Sozialräumlich und system-ökologisch ausgerichtete UK-Interventionen erlauben es, die gesamte kommunikative Situation zu analysieren, um dann im Bereich der strukturellen Rahmenbedingungen die gesellschaftliche Partizipation zu vergrößern und auf sozialpolitischen oder einstellungsbezogenen Ebenen der Wertvorstellungen und Haltungen zu wirken. Auch stellt sich dabei die Frage, welche Kommunikationskultur in der Gemeinschaft, dem sozialen System bzw. der sozialen Dienstleistungsorganisation herrscht: Wird eine eigentliche UK-Kultur angestrebt, in der die multimodale Kommunikation im Zentrum steht? Oder ist UK - und damit das Kommunizieren Können und Dürfen - nur im Sinne der Einzelförderung zu bestimmten Zeiten angesagt?

"Melde dich! Klopfe auf den Tisch und gib nicht auf!" (Arne Maiwald)


Unterstützte Kommunikation und ihre Handlungsmaxime

Zu folgenden Handlungsmaximen leistet die Unterstützte Kommunikation als Konzept für die Arbeit im Kontext von Behinderung einen zentralen Beitrag:


Die Handlungsmaxime der Normalisierung

Der Normalisierungsgedanke geht mit der Forderung einher, dass Kindern und Erwachsenen mit Entwicklungsbeeinträchtigungen normale Lebensbedingungen zur Verfügung stehen. Außerdem müssen sie Gelegenheiten und Handlungsräume erhalten, an möglichst vielen, strukturell unterschiedlichen und abwechslungsreichen Lebensbereichen und sozialen Interaktionen aktiv teil zu nehmen. So erhalten die Menschen Übungsfelder und sammeln zahlreiche kommunikative Erfahrungen.


Die Handlungsmaxime der Partizipation

Partizipation heißt, an möglichst vielen sozialen Ereignissen aktiv teilhaben und mitbestimmen zu können. Förderliche Entwicklungsprozesse hängen direkt von der Anzahl strukturell verschiedener Lebensbereiche ab, und sie geschehen, wenn die Person sowohl an vielfältigen kooperativen Tätigkeiten partizipiert als auch diese sozialen Interaktionen als gelungen empfunden werden. Dazu ist in der professionellen Arbeit mit UK eine systematische Vorgehensweise notwendig, wie es beispielsweise das Partizipationsmodell (Beukelman/Mirenda 1998) erlaubt. Der professionelle Auftrag im Kontext von Partizipation bezieht sich darauf, partizipationshemmende Barrieren in den gemeinsamen Alltagaktivitäten und Routinen zu erfassen und abzubauen. Dadurch können neue Interaktions- und Kommunikationsformate entwickelt werden. Auch mit der neuen WHO-Klassifikation der ICF (International Classification of Functioning, Disability and Health, WHO 2002) erhält das Ziel Partizipation einen sehr hohen Stellenwert im Bereich der pädagogischen Arbeit in sozialen Dienstleistungsorganisationen der Behindertenhilfe. Die UN-Behindertenrechtskonvention verlangt gleichsam Lebensbedingungen, die die Inklusion und das Dazugehörigkeitsgefühl in unseren gesellschaftlichen und gemeinschaftlichen Bezügen von Menschen mit (schweren) Entwicklungsbeeinträchtigungen ermöglicht, verbessert und zum Ziel hat.


Die Handlungsmaxime der Entwicklungsbegleitung

Die Entwicklungsbegleitung in UK versteht sich als ständig begleitende, über alle Lebensphasen laufende Einschätzung der kommunikativen Fähigkeiten, Kompetenzen und Situationen - ein Leben lang. Die Planung, Durchführung und Evaluation der UK-Interventionen beziehen sich dementsprechend nicht nur auf die momentanen Bedürfnisse, sondern sind auch zukunftsorientiert im Hinblick auf das, was die Person später braucht, kann und können will und soll. Entwicklungsprozesse im Bereich der Kommunikation werden als permanente Anpassungs- und Wechselwirkungsprozesse zwischen der Person und ihrer sozialen und dinglichen Umwelt gesehen.


Die Handlungsmaxime der Lebenslauf-Orientierung

Lebenslauf-Orientierung im Kontext der UK heißt, dass die unterschiedlichen Kommunikationserfahrungen und -biografien einer Person berücksichtigt werden.
Auch die unterschiedlichen bzw. altersgerechten Erwartungen und Anforderungen an ihre kommunikative Kompetenz in den verschiedenen Sozialisations- und Lebensphasen stehen im Zentrum dieser Perspektive.


Die Handlungsmaxime der Transdisziplinären Zusammenarbeit

Es bilden sich multidisziplinäre Teams unter Beteiligung der unterstützt kommunizierenden Person, deren Mitglieder konsensorientiert und problemlösungsorientiert zusammenarbeiten. In diesen Teams sind die UK-Interventionen gemeinsam zu planen, durchzuführen und zu überprüfen sowie gemeinsam deren Ergebnisse theoriegeleitet zu reflektieren. Hilfreich ist es, wenn eine Person für die Koordination verantwortlich ist. Denn Erfahrungen zeigen immer wieder, dass UK dann fehlschlägt, wenn nicht alle Beteiligten des sozialen Systems einbezogen werden bzw. nicht das gleiche Ziel mit gleichem Engagement verfolgen. Mit dieser Form kann die UK bzw. eine UK-Kultur strukturell in den Lebenswelten von Menschen mit schweren Kommunikationsbeeinträchtigungen verankert werden.


Weiterbildungsangebote in UK

Das Kursangebot (zu Teilbereichen) der UK ist in den letzten Jahren gestiegen. Grundlegende Weiterentwicklungen der neuen Informationstechnologien haben sowohl den Einsatzbereich als auch die Einsatzmöglichkeiten der elektronischen Kommunikationshilfen vergrößert und damit auch den Bedarf an Informationen und Kursen gesteigert.

Einige UK-Spezialistinnen im deutschsprachigen Raum haben umfangreiche Konzeptarbeit im Bereich der beruflichen Fort- und Weiterbildung in UK geleistet. Beispielsweise existiert seit 1997 in dieser Form das buk - büro für unterstützte kommunikation und neuerdings der Verein Bildung für Unterstützte Kommunikation (www.buk.ch) in der Schweiz. In Kooperation mit der Fachhochschule Nordwestschweiz, Hochschule für Soziale Arbeit mit dem Institut Integration und Partizipation bietet der Verein einen CAS Zertifikatslehrgang nach Bologna-Standards an, der auch von ISAAC-GSC als Weiterbildung anerkannt ist. Auch in Deutschland existieren inzwischen verschiedenen Weiterbildungslehrgänge:

Lehrgang UK (LUK); Beratung Assistenz und Pädagogik mit UK (BAP UK); UK-Coach. Die von ISAAC-GSC autorisierten UK-Referentinnen er- und überarbeiten regelmäßig Standards bezüglich Inhalt und Qualität der Kursangebote. Es werden aufeinander aufbauende Kursmodule zum Thema UK angeboten, größere interne Weiterbildungen in den Dienstleistungsorganisationen durchgeführt und Projekt- und Konzeptentwicklungen zum Thema UK konzipiert, auch sind Informations- und Dokumentationsunterlagen erhältlich.


Schlussworte

Wenn UK als Konzept mit nachhaltiger Wirkung in die Praxisfelder und Lebenswelten implementiert werden soll, müssen konzeptionelle Überlegungen unternommen werden, wie die langjährigen - erfolgreichen - Erfahrungen der Praxis zeigen. Erst die professionellen und strukturellen Rahmenbedingungen gewährleisten, dass es allen beteiligten Personen sinnhaft und bedeutungsvoll erscheint, UK zu lernen und in allen Lebensbereichen einzusetzen. Alle Betroffenen selbst erfahren, dass UK sich lohnt, um sich differenzierter darzustellen und um vermehrt an Gemeinschaft und Gesellschaft zu partizipieren und mit zu gestalten.

"Ich kann Ihnen auch noch was Schönes berichten: Als ich ,Hector' noch auf Probe hatte, gingen wir ins Café Overbeck. Ich bestellte mit ,Hector' eine Tasse Kaffee und ein Stück Kuchen. Die Kellnerin hörte zu und brachte mir das Bestellte. Sie war sehr nett und ich sehr stolz, weil es so gut geklappt hat. In dem Augenblick hatte ich nicht mehr an meine Behinderung gedacht." (Arne Maiwald)







Autorin

Prof. Dr. Dorothea Lage
Sonderpädagogin
Fachhochschule Nordwestschweiz
Hochschule für Soziale Arbeit
Institut Integration und Partizipation
Riggenbachstrasse 16
CH - 4600 Olten
dorothea.lage@fhnw.ch
www.fhnw.ch/sozialearbeit
www.buk.ch



Literatur

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© Dorothea Lage 2011